Seit der Börsenbaisse im Jahr 2000 stehen die Anlageempfehlungen der Analysten, Banken und Broker verstärkt im Kreuzfeuer der Kritik. Immer wieder gibt es in der Presse Negativschlagzeilen. Vom Vorwurf, dass es stets mehr positive Kaufurteile als Verkaufsurteile gebe, bis hin zu unfairen Aktienzuteilungen und fehlender Objektivität – die Palette ist breit gestreut.

Aber wen wundert es: Aufgabe der Sellside-Analysten ist es, möglichst publikumswirksam für Anlageideen zu werben und Kunden anzulocken. Die Studien und Kaufempfehlungen werden häufig kostenlos angeboten. Verdient wird über Handelsprovisionen.

Viele Institute haben eine Abteilung mit Buyside-Analysten, die nur interne Researchdienste erfüllen. Deren Studien sind nicht öffentlich – allenfalls für einen erlauchten Kreis. Warum leistet man sich den Luxus dieser relativ teuren Doppelstrukturen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Aktienresearch ist für die Branche ein gängiges Mittel, um das Geschäft anzukurbeln. Darum gibt es auch fast nur positive Urteile in Form von Kaufempfehlungen. Nach Auskunft des Finanzdienstes Thomson / First Call lauteten nicht einmal 2 % aller Beurteilungen in Amerika auf „Verkaufen“ zu Beginn der Baisse im Jahr 2000. Folglich ist äußerste Vorsicht bei der Interpretation der Empfehlungen geboten. Fondsmanager und Profis sind sich dieser Problematik wohl bewusst. Eine unkritisches Befolgen der Kaufempfehlungen ist gewagt. Hören Sie sich ruhig die Analysteneinschätzungen an – aber ziehen Sie ihre eigenen Schlüsse.

Auf den amüsanten Artikel „der Aktien-Code“ von Sven Scheffler in der Financial Times Deutschland vom 24.09.2002 (lange ist es her, aber geändert hat sich nichts) möchte ich noch hinweisen und den folgenden Auszug zitieren:

Wall Street im Klartext

Ahnungslos

„Der Markt wird durch technische Faktoren gedrückt“: Wir haben keine Ahnung, warum die Aktien fallen.

Tröstlich

„Auf relativer Basis ist die Aktie billig“: Sie ist schon teuer, aber andere Titel sind noch viel höher bewertet.

Optimistisch

„Wir sind Langzeitanleger“: Die Aktie ist im Keller, aber wir hoffen, dass sie mittelfristig wieder in den grünen Bereich kommt.

Entschlossen

„Die Aktie ist fair bewertet“: Wenn sie noch weiter steigt, verkaufen wir.

Pessimistisch

„Die Aktie wird langfristig attraktiv“: Das nächste Jahr wird auf jeden Fall hart.

Ungläubig

„Die Aktie ist überverkauft“: Wir hätten nie gedacht, dass sie so weit fallen könnte.

Quelle: Financial Times Deutschland vom 24.09.2002