Warum uns unser Gehirn sabotiert

Die Märkte ticken anders – wir auch

Der amerikanische Wissenschaftler Dr. med. MacLean hat nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn aus drei Teilen besteht, die evolutionsgeschichtlich verschieden alt sind.

  • Stammhirn
  • Zwischenhirn
  • Großhirn

Jeder Gehirnteil übernimmt unterschiedliche Funktionen. Der Einfluss der drei Bereiche ist bei jedem Menschen anders. Der „blaue“ Typ ist eher kopfgesteuert, während beim „roten“ schon mal die Emotionen hochkochen.

  • Das Stammhirn ist das erste und älteste Gehirn. Es dient der Selbst-Erhaltung und nutzt die Erfahrungen der Vergangenheit. Instinkte und Gewohnheiten prägen seine Handlungsweise. Es wird auch als Reptilienhirn bezeichnet.
  • Das Zwischenhirn lebt in der Gegenwart und nutzt den Augenblick. Es reagiert spontan und emotional. Das Zwischenhirn  dient der Selbst-Behauptung.
  • Das Großhirn, der jüngste Teil, dient dem Selbst-Bewusstsein. Es plant die Zukunft und reagiert rational. Logische Verknüpfungen und Abstraktion gehören zu seinen Fähigkeiten. Hier findet der Begriff „kopfgesteuert“ seinen Ursprung.

Was hat das 3teilige Gehirn mit der Börse und Handelssystemen zu tun?

Eine ganze Menge. Leider ist das Thema zu umfangreich und komplex, um hier ausführlich beschrieben zu werden. Ganze Bücherschränke mit Literatur zur Behavioral Finance, Psychologie und verhaltenswissenschaftlichen Themen sind voll davon. Lassen Sie es mich aus der Perspektive des Geldverdienens auf den Punkt bringen:

Die Börse ist ein Meister darin, immer gerade den Gehirnteil in uns zu aktivieren, der unserer Rendite am meisten schadet.

Das Phänomen der Einstandspreisorientierung, der unwiderstehliche Drang Verluste unerträglich groß werden zu lassen (und auszusitzen), Gewinne viel zu früh mitzunehmen, an Crashtagen in Panik alles zu Ausverkaufspreisen zu verschleudern („rot sehen“), statt einen kühlen Kopf („blau“, die Ratio) zu bewahren, sind nur einige Auswüchse davon.

Handelssysteme neutralisieren die menschlichen Schwächen

Selbst wer sich der menschlichen Schwächen bewusst ist, tut sich schwer, nicht in die vielen Psychofallen zu tappen. Genau an diesem Punkt kommen mechanische Handelssysteme ins Spiel. Frei von Emotionen, Stimmungsschwankungen, Zweifeln und Irrationalitäten erzeugen sie nach klaren Regeln objektive Kauf- und Verkaufsempfehlungen. Der Anwender bleibt der einzige subjektive Faktor in seiner Konsequenz der Signalumsetzung. Robuste Handelssysteme sind für die meisten Anleger der bessere Ratgeber als der menschliche Experte in Funk und TV oder der Filiale um die Ecke.

Grenzen von Handelssystemen

Handelssysteme können nicht die Zukunft vorhersagen. Sie können dem Anleger jedoch Hinweise geben, auf welche Art und Weise man an den Finanzmärkten Gewinne erzielen konnte. Sie sind eine wertvolle Hilfe bei der Entwicklung von Handelsideen und deren Überprüfung. Handelssysteme sind nicht auf den Erfolg einzelner Transaktionen fixiert, sondern auf die Umsetzung einer langfristig profitablen Strategie. Kontinuierliche Gewinne sind das Hauptziel – möglichst in jeder Marktlage. In der Realität reicht es schon aus, wenn das Handelssystem seine Stärken in vorteilhaften Marktphasen voll ausspielen kann, während es sich in unvorteilhaften Phasen vornehm zurückhält. Kapitalerhalt sollte bei ungünstigen Marktphasen an oberster Stelle der Handelslogik stehen.

Welche Arten von Handelssystemen gibt es?

Prinzipiell kann zwischen systematischen und diskretionären Systemen unterschieden werden.

  • Bei einem diskretionären Ansatz trifft der Portfoliomanager seine Handelsentscheidungen intuitiv auf Grund der ihm vorliegenden Daten. Das können Wirtschaftsnachrichten, Unternehmensanalysen, aber auch technische Analysen sein.

Besonders in stressigen Börsensituationen führt der diskretionäre Ansatz zu überzogenem emotionalem Handeln. Es wird sich dann nicht mehr an die ursprünglich vereinbarten Handelsgrundsätze gehalten. Der Kopf wird ausgeschaltet. Es herrschen die Emotionen. Angst und Gier sind keine guten Ratgeber.

Ein Problem besteht in der begrenzten und selektiven Wahrnehmung der heutigen Informationsüberflutung. Es stellt sich nicht mehr die Frage „woher bekomme ich die Informationen“, sondern „wie finde ich die relevanten am schnellsten heraus“.

Der Vorteil des diskretionären Ansatzes liegt darin, flexibel auf neue Ereignisse reagieren zu können. Das setzt beim Anwender Börsenerfahrung, hohe psychische Belastbarkeit und Selbstdisziplin voraus.

  • Bei den systematischen Ansätzen werden im Wesentlichen die folgenden vier Gruppen unterschieden:

Trendfolgesysteme

Trendfolgesysteme sollen von den großen Trendbewegungen partizipieren. Das saftige Stück zwischen den Wendepunkten. Da sich die Märkte zu 2/3 in einer Seitwärtsbewegung austoben, liefern Trendfolgesysteme viele Fehlsignale. Die Anzahl profitabler Trades liegt zwischen dreißig und vierzig Prozent. Entscheidend ist, dass die Anzahl der wenigen erfolgreichen Trades die vielen kleinen Verluste überkompensieren. Gelingt das, können erstaunliche Renditen erzielt werden, obwohl man häufiger falsch liegt. Mit dieser Eigenart, häufiger falsch zu liegen, kommen viele Anleger nicht klar.

Countertrendsysteme

Diese sind geeignet für ausgeprägte Seitwärtsbewegungen der Märkte. Im Prinzip wird am oberen Rand der Seitwärtsbewegung (Widerstand) die Position verkauft, und am unteren Rand (Unterstützung) wieder gekauft. Da sich die Märkte zu 2/3 der Zeit in Seitwärtsphasen befinden, ist dieses System häufig im Markt. Es werden viele kleine Gewinne gesammelt. Dafür werden die großen Bewegungen im Markt verpasst, da das System den Ausbruch nicht erkennt. Die Trefferquote liegt bei rund fünfzig Prozent.

Volatilitätssysteme

Es wird nach niedrigen Volatilitätsniveaus Ausschau gehalten. Bei einem Ausbruch von diesem Niveau (die Richtung ist offen) steigt das System in Trendrichtung ein. Es werden viele kleine, positive Trades erzielt. Die hohe Handelsfrequenz verursacht höhere Transaktionskosten.

Patternsysteme

Kursmuster sind die Basis für Formationserkennungs-Systeme. Ziel ist das Aufspüren von Chartformationen (beispielsweise Dreiecke, Wimpel usw.). Die Trefferquote ist mit rund sechzig bis siebzig Prozent sehr hoch, vorausgesetzt man handelt nur die mit dem besten Chance- / Risikoverhältnis. Dann werden nur relativ wenige Handelssignale erzeugt.

Der Systemtest

Der Systemtest ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung von Handelssystemen. Dabei werden die relevanten statistischen Kennzahlen berechnet, die sich durch die konsequente Anwendung der definierten Handelsregeln ergeben. Besonderes Augenmerk sollte auf das Verhalten bei realistischen Marktbedingungen gelegt werden.

Die strengen Testanforderungen filtern ungeeignete Handelssysteme schnell heraus. Nur ein kleiner Prozentsatz besteht die Teste. Ob die extrahierten Handelssysteme dann auch sinnvoll eingesetzt werden können, hängt von der verfolgten Anlagestrategie ab. Sie gibt den Rahmen vor. Da ein Handelssystem nur rückwirkend für die Vergangenheit getestet werden kann, bleibt ein Restrisiko, ob es auch für die Zukunft gewinnbringend arbeitet.

Der Systemtest setzt sich aus 5 Phasen zusammen:

  • Evaluierung
  • Verifizierung
  • Robustheit und Güte
  • Negativselektion
  • Maximum Drawdown

Dabei werden insbesondere die Güte, Robustheit und Profitabilität des Handelssystems getestet. Eine ausführliche Stärken- / Schwächenanalyse rundet die Testserie ab. Es wird sehr wichtig, dass das Handelssystem für den Entwickler und späteren Anwender in seiner Komplexität nachvollziehbar ist. Daran kranken die meisten Handelssysteme. Es wird so lange optimiert, ausprobiert, die x-te Nebenbedingung hinzugefügt, bis die Logik nicht mehr nachvollziehbar ist –  und schlimmer noch, die Vergangenheit perfekt durch mathematische Iterationsverfahren abgebildet wird (curve fitting), nur leider taugen solche Systeme nicht für die Zukunft.

Ein Handelssystem muss so einfach wie möglich sein und hundertprozentig mit dem Kopf nachvollziehbar bleiben. Mit jeder zusätzlichen Regel begibt man sich in die Gefahr der Überoptimierung (curve fitting).

Evaluierung

  • Testverhalten anhand historischer Daten
  • Kennzahlen und Systemparameter festlegen
  • Optimierungs-Sequenzen in mehreren Stufen

Verifizierung

  • Anwendung historischen Kursdaten des gleichen Marktes,
  • die nicht Bestandteil der ersten Testphase waren.
  • Bestätigen die Ergebnisse die erste Testphase?

Robustheit und Güte

  • Funktionsfähigkeit in anderen Märkten des gleichen Segments testen
  • Umfangreiche Sensitivitätsanalysen
  • Handelssysteme mit einfachen und wenigen Regeln überstehen diesen Test eher als die „verkomplizierten“ Systeme

Negativselektion

  • Testreihen in fremden Märkten
  • und anderen Segmenten.
  • Clusterbildung
  • Prüfung auf Plausibilität

Maximum Drawdown

  • Ermittlung des maximalen Verlusts je Trade
  • Wirkung aller maximalen Verlustserien auf die Gesamtperformance
  • Bewertung der Praxistauglichkeit (psychologische Komponente)
  • Einschätzung der psychologischen Belastung
  • Berücksichtigung, dass subjektive, systemexterne Entscheidungen durch den Anwender vorgenommen werden könnten, die zu einem Versagen des erfolgreichen Systems führen
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