An der Börse geht es momentan zu wie im Tollhaus. Böse Zungen behaupten, dass wäre immer so. Kurzfristig mag das so sein, aber langfristig kann ich dem nicht beipflichten. Zumindest bei einer klugen Anlagepolitik.

Natürlich können Kursentwicklungen und Fundamentaldaten zeitlich sehr wohl auseinanderlaufen. So wie scheinbar jetzt. Was passiert, wenn die Panik abebbt und die Fakten nüchtern analysiert werden? Hat die Börse Recht oder geht die Fantasie mit den Anlegern durch?

Man kann zahlreiche Argumente dafür und dagegen miteinander abwägen. Die Gefahr dabei ist, dass man je nach Gemütszustand, Weltanschauung oder der letzten Schlagzeile sich die passenden Argumente herauspickt, die die eigene Meinung unterfüttern. Mit ein wenig Glück liegt man richtig – aber wie lange? Ändert sich die Meinung mit der nächsten Schlagzeile? Weltuntergangsstimmung und Euphorie liegen an der Börse eng beieinander.

Zwei Szenarien

Getreu meiner Maxime, fundamentale Entwicklungen immer im Kontext mit der tatsächlichen Marktentwicklung abzustimmen, lassen sich vereinfacht zwei Extremszenarien formulieren:

Szenario A: Die Märkte haben überreagiert und die Entwicklungen in der Welt sind nicht so schlecht wie befürchtet. Dann geht es weiter wie vor dem Kurssturz. Das Sprichwort „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“ trifft zu.

Szenario B: Es stellt sich nach und nach heraus, dass die Märkte korrekt eine nachlassende Wirtschaftsdynamik bzw. Rezession einzupreisen beginnen. Die Betonung liegt auf „beginnen“. Es „donnert“ zwar, aber weitere „Salven“ drohen. Eng verflochten mit einer Eskalation der Schuldenkrise sowie dem Vertrauensverlust in die Problemlösungsfähigkeit unserer Politiker. Im Szenario B müssen wir mit weiteren Turbulenzen rechnen. Wahrscheinlich sogar mit einer Baisse.

Mit dem freundlicheren Szenario A können wir uns später beschäftigen. Akut ist die Frage, ob wir es mit dem unangenehmen Szenario B zu tun bekommen. Dann sind die letzten Kursstürze leider nur ein Warnschuss. Noch ist nichts entschieden. Selbst in Baissen gab es kräftige Aufwärtsbewegungen.

Bleiben Sie wachsam

Erhärten sich die Verdachtsmomente für Szenario B ist Liquidität Trumpf. Dann sollten Markterholungen sukzessiv zum Rückzug aus dem Aktiensegment genutzt werden. Neben aktiven Verkäufen bieten sich bei widerstandsfähigen Werten nachgezogene Verkaufsmarken an, um von einer temporären Erholung maximal profitieren zu können.

Einen Zeitplan dafür gibt es nicht. Der Markt bestimmt das Tempo. Wie lang und heimtückisch eine Baisse ablaufen kann, zeigen beispielsweise die Finanzmarktkrise im Jahr 2008 oder die Baisse von 2000 bis 2003. Nach kräftigen Erholungen, die auf eine Fortsetzung der Hausse vermuten ließen, folgten brutale Nackenschläge.

Noch ist nichts entschieden

Szenario B muss nicht eintreten. Die Politik kann durch geeignete Maßnahmen gegensteuern. Aber bitte nicht so halbherzig und unprofessionell wie bisher. Dafür haben die Märkte kein Verständnis mehr. Klare, wirtschaftspolitisch fundierte Maßnahmen mit Perspektive müssen schnellstens auf den Weg gebracht werden. Klotzen, nicht kleckern heißt die Devise.

Kühlen Kopf bewahren

Auch wenn es schwer fällt, nur eine nüchterne Betrachtung hilft weiter. Spüren wir tatsächlich die Ausläufer einer Baisse, wird sie offiziell erst verkündet, wenn die Kurse noch tiefer stehen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal einige Aspekte aus dem letzten Beitrag mit einem aktuellen Kommentar aufgreifen (in Klammern):

Was versetzt die Märkte in Panik? Im Grunde die altbekannten Fakten: Schlechte Nachrichten von der Konjunkturfront, die Schuldenproblematik in Europa und die internationalen Sparbemühungen. Das Fass zum überlaufen brachten die mit der Anhebung der US-Schuldengrenze verbundenen Sparpakete. Marktteilnehmer befürchten ein Abwürgen der Konjunktur. Im Klartext: Rezession. (Daran hat sich nichts geändert)

Und mittelfristig? Jetzt kommt es neben den Fundamentaldaten darauf an, das Kursverhalten und die psychologische Verfassung der kapitalstarken Großinvestoren zu verfolgen (wir befinden uns mittendrin in einer Börsenpanik auf Raten. Hohe Volumina an der New Yorker Börse bestätigen einen „Selling Climax“. Zumindest kurzfristig ein gutes Zeichen).

Dazu zähle ich auch die Aktivitäten der Regierungen und Kapitalmarktinstitutionen:

  • Wie verhalten sich die wichtigsten Notenbanken, insbesondere die amerikanische FED und EZB angesichts der Marktturbulenzen? (FED will Nullzinspolitik bis mindestens 2013 beibehalten. Klare Worte. Positiv für die Märkte)
  • Wird ausreichend Liquidität „um jeden Preis“ bereitgestellt? (Man ist bereit alles zu tun).
  • Kommt „QE3“, ein gigantisches Stützungsprogramm der US-Notenbank? (Sehr wahrscheinlich. Die letzten Äußerungen deuten darauf hin)
  • Werden die europäischen Wackelkandidaten rechtzeitig mit geldpolitischen Interventionen stabilisiert? (Die EZB wurde weichgeklopft und ist bereit, im Notfall weitere Staatsanleihen zu kaufen)
  • Setzen die Politiker die groß angekündigten Sparpakete tatsächlich um (=Gefahr, die Wirtschaft abzuwürgen) oder werden es nur kleine Päckchen? (Beobachten!)
  • Kommen Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft? (Beobachten!)

Auch wenn es momentan düster aussieht, jede Krise birgt große Chancen. Warum sollte es diesmal anders sein? Die Frage ist nur, welchen Weg wir vorher nehmen.