China und die Rohstoff-Hausse

Leitartikel für die erste Ausgabe des Rohstoff Spiegels 1/2006

(www.rohstoff-spiegel.de)

Das rasante Wachstum in China wirbelt die alte Wirtschaftsordnung durcheinander. Die westlichen Industrienationen müssen sich auf einen brutalen Kampf einstellen. Dazu gehören ein gnadenloser Preiswettbewerb und anziehende Rohstoffpreise. Alles was China braucht, steigt im Preis – alles was China herstellt, fällt im Preis.

Nicht nur Chinas Nachbarstaaten dürften vom Wirtschaftsboom profitieren, ebenso die besonders rohstoffreichen Länder wie Russland oder der Mittlere Osten. Bereits heute überflügelt das Reich der Mitte sämtliche Nationen beim Verbrauch von Kohle, Stahl, Kupfer und Zinn. Aber auch als Produzent erreicht China Spitzenplätze. Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Bergbau und der Industrie. Obwohl offiziell noch ein Entwicklungsland, zeigt die Tabelle eindrucksvoll, um welche Dimensionen es sich dabei handelt.

Was ist das Besondere an China neben anderen bevölkerungsreichen Wachstumsregionen wie Russland, Brasilien oder Indien? Der Einfluss auf die Rohstoffmärkte! Russland ist zwar ein rohstoffreiches Land, aber die Regierung bremst die industrielle Dynamik durch Bürokratie und Verstaatlichung. Brasilien verdankt sein Wachstum den dort vorhandenen Rohstoffen und Indien wächst in nicht rohstoffintensiven Bereichen. Ganz anders stellt sich die Situation in China dar: Gigantische Infrastrukturprojekte, Ausbau der industriellen Fertigung, steigender Energie- und Nahrungsmittelbedarf, „verwestlichte“ Gewohnheiten sowie bedingungslose Fokussierung eines ganzen Volkes auf wirtschaftlichen Erfolg.

Die Multiplikation kleinster Zuwächse mit der Zahl von 1,3 Milliarden Chinesen beflügelt nicht nur die Fantasie so mancher Hersteller, sondern zeigt den enormen Bedarf an Rohstoffen. Obwohl China zu den größten Ölförderländern weltweit gehört, wurde es durch die stark expandierende Wirtschaft zum Ölimporteur. Ebenso gehört Stahl zu den größten Importgütern, trotzdem China im eigenen Land mehr produziert als Amerika und Japan zusammen.

Aufgrund der großen Landfläche und der geologischen Bedingungen sind die Bodenschätze über alle Provinzen verstreut, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Über 80% der Kohle- und Ölvorräte befinden sich in den nördlichen Provinzen, während sich die Industriestandorte in der ostchinesischen Küstenregion konzentrieren. Nur durch den starken Ausbau des Logistik- und Verkehrswesens können die Transportprobleme bewältigt werden. Dennoch kommt es immer wieder zu verzögerten Lieferungen. Die Folge sind Energieausfälle und Produktionsengpässe. Einen Ausweg sieht die Regierung in einem Ausbau der Atomkraft. Die Erzeugung von Atomstrom soll bis 2020 verfünffacht werden. Rosige Aussichten für Uranproduzenten.

Das Eisenbahnnetz wird in den nächsten Jahren weiter ausgebaut. Ebenso der Straßenbau, da der Gütertransport auf Rädern eine Zubringerfunktion für die Eisenbahn und Binnenschifffahrt erfüllt. Mit der florierenden inländischen Automobilproduktion und der erwarteten Zunahme privater Pkws schnellt der Bedarf an gut ausgebauten Straßen zusätzlich in die Höhe. Derzeit besitzt nur rund 1% aller Chinesen ein Auto, in den Industrienationen sind es mehr als 50%. Die Zahlen lassen erahnen, welches Steigerungspotenzial besteht.

Mit dem steigenden Wohlstand kommt auch eine Verwestlichung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. So lässt sich das Beispiel aus der Automobilbranche auf andere wirtschaftliche Bereiche übertragen. Während der Rohstoff Zucker hierzulande einen zweifelhaften Ruf genießt, ist er für Chinesen ein erstrebenswertes „Luxusgut“. In China werden pro Kopf rund 8 Kilo im Jahr verbraucht, in Europa dagegen 30 Kilo. Mit dem wachsenden Einkommen steigt die Lust auf Süßes: Pralinen, Torten und Soft-Drinks. China ist jetzt schon auf Zuckerimporte von 1,5 Millionen Tonnen angewiesen. Oder stellen Sie sich einmal vor, die große Tee-Nation entdeckt den Kaffee als Nationalgetränk? Selbstverständlich gesüßt.

Noch nie war China so stark mit der internationalen Wirtschaft verflochten. Chinas Hunger nach Rohstoffen ist ein wichtiger Faktor für die laufende Rohstoffhausse. Welche Auswirkungen würde ein Konjunktureinbruch nach sich ziehen? Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich einen Preissturz an den Rohstoffmärkten vorzustellen – nachdem die chinesische Sonderkonjunktur die Preise in den letzten Jahren stärker als „normal“ in die Höhe katapultiert hat. Aber: Trotz der Kurssteigerungen sind Rohstoffe inflationsbereinigt immer noch nicht zu teuer. Dennoch können solche Ereignisse heftige Korrekturen auslösen, da mit der zunehmenden Popularität immer mehr spekulatives und „zittriges“ Kapital in die Rohstoffmärkte fließt, das sich bei Gefahr schnell zurückziehen kann.

CRB bis Mitte 2006

CRB-Rohstoff-Index (nicht inflationsbereinigt): Altes Hoch geknackt

Die chinesische Regierung versucht das enorme Wirtschaftstempo mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten ein wenig abzukühlen. Mit zweifelhaftem Erfolg. Auf Dauer kann kein Motor mit Überlast laufen. Irgendwann werden die Märkte selbst die notwendigen Korrekturen erfahren. Dennoch wäre ein Konjunktureinbruch nicht das Ende, sondern eine notwendige, wenn auch sehr schmerzliche Bereinigung fehlgeleiteter Ressourcen und spekulativer Exzesse.

Vieles spricht dafür, dass China danach seinen eingeschlagenen Weg wieder aufnimmt und den Spuren Japans und Koreas folgt. Investoren mit Weitblick sollten einen kräftigen Einbruch der Rohstoffpreise als langfristige Kaufgelegenheit nutzen und sich nicht aus dem Markt jagen lassen. Vergessen Sie China nicht.