Wann ist eine Aktie preiswert?

Überlegungen zum KGV

Immer wieder  werden in Börsenmagazinen bestimmte Aktien angepriesen. Der Zeitpunkt zum Einstieg wäre jetzt besonders günstig. Dabei wird sehr häufig das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ins Spiel gebracht. Zum Beispiel heißt es, das KGV einer Aktie wäre ja nur einstellig, was bei den Lesern dann den Eindruck erwecken soll, eine Aktie mit einstelligem KGV wäre grundsätzlich kaufenswert.

Niedriges KGV = günstig?

Was soll man von solchen Einschätzungen halten? Zunächst einmal ist rein rechnerisch das KGV gleich dem Aktienkurs eines Unternehmens dividiert durch den Gewinn des Unternehmens in einem bestimmten Jahr. Somit besagt das KGV, wie viele Jahre das Unternehmen den genannten Gewinn erzielen muss, um den augenblicklichen Aktienkurs zu rechtfertigen. So gesehen wäre es natürlich schon günstig, ein tiefes KGV bei einer Aktie zu haben, denn der Kehrwert eines tiefen KGV würde ja dann einer hohen Gewinnrendite entsprechen.

Oder niedriges KGV = Vorsicht!

Das Problem dabei ist nur, dass die Überlegungen der Marktakteure sich überwiegend gegensätzlich zu dieser Maxime verhalten. Wenn man davon ausgeht, dass der Aktienmarkt neue Informationen über eine Aktie umgehend verarbeitet, dann bedeutet das, dass alle heute vorliegenden Informationen über eine Aktie bereits im Kurs enthalten sind.

Der Schein trügt

Wer eine Aktie kauft, der erwartet, dass ihr Kurs ansteigt. Wann steigt der Kurs einer Aktie? Wenn erwartet wird, dass der Gewinn des Unternehmens steigen wird. Steigt der Kurs stärker als der erwartete Gewinn, dann steigt auch das KGV. Ist die Börse skeptisch, etwa weil eine Rezession ins Haus steht, kann das KGV fallen, auch wenn der Gewinn des Unternehmens steigt. Und andererseits kann der Aktienkurs eines Unternehmens, das in der Vergangenheit falsche geschäftspolitische Weichenstellungen betrieben hat, fallen. Das muss aber noch keine Auswirkungen auf den Gewinnausweis haben. Das Unternehmen wäre dann optisch billig. Sollten diese Auswirkungen eines Tages eintreten, würde die Aktie allerdings teuer werden. Man sieht also, die Sache ist nicht so eindeutig.

Qualität hat seinen Preis

Ein Unternehmen, das ständig wächst und von dem die Anleger erwarten, dass es weiter wachsen wird, weist sehr häufig ein hohes KGV auf. Bei Unternehmen, die stagnieren und von denen keine Wachstumssprünge erwartet werden, findet man normalerweise ein tiefes KGV. Dennoch wird man ein Wachstumsunternehmen nicht schon deshalb als teuer bezeichnen, weil das KGV hoch liegt, genau so wenig wie ein Unternehmen der zweiten Sorte billig wäre.

Value-Investoren sehen das etwas anders

Eine andere Sichtweise nehmen Value-Investoren ein. Sie argumentieren, ein Unternehmen mit tiefem KGV müsse nicht besonders stark wachsen, um den gegenwärtigen Kurs zu rechtfertigen, während ein Unternehmen mit hohem KGV einen Aktienkurs aufweist, der bereits sehr viel Wachstumsphantasie enthält. Wenn diese Wachstumsphantasie sich verflüchtigte, bräche folglich der Aktienkurs ein. Wenn dagegen die Ansicht die Überhand gewönne, ein Unternehmen mit tiefem KGV könne in Zukunft wachsen, dann würde nicht notwendigerweise der Gewinn des Unternehmens ansteigen, sondern das KGV. In der Tat gibt es empirische Studien, die den Erfolg des Value Investing belegen – allerdings ist dies nicht in jeder Börsenphase so.

SAP mit Kursgewinnen trotz höherem KGV

Als ein Beispiel für ein Wachstumsunternehmen kann man SAP nehmen. In den vergangenen sieben Jahren ist der Gewinn von SAP (genauer: das Ergebnis je Aktie) durchschnittlich um 14 Prozent p.a. gestiegen. Der Kurs von SAP lag Anfang 2005 bei ca. 34 € und steht heute über 60 €. Dies entspricht einer jährlichen Wertsteigerung von über 7 Prozent. Das KGV von SAP liegt bei etwa 15, somit ist ein höheres KGV als im Marktdurchschnitt gerechtfertigt.

SAP mit Kursrallye

Abbildung: SAP mit schöner Rallye zum Jahresultimo.

Allianz optisch günstig, aber enttäuschende Performance 

Dagegen hat sich etwa das durchschnittliche Ergebnis der Allianz in diesem Zeitraum nur mäßig entwickelt. Macht man die Einschätzung eines Unternehmens an der Fähigkeit fest, in der Zukunft Gewinne zu erwirtschaften, dann dürfte die Aktie der Allianz nicht viel wert sein. Sie hat sich in der Vergangenheit nicht besonders gut entwickelt. Notierte sie Anfang 2005 noch bei über 97 €, so sind es heute rund 107 €. Das ergibt gerade 1 Prozent Kursanstieg pro Jahr. Und das, obwohl die Allianz-Aktie die längste Zeit – auch heute – mit einem KGV von etwa 9 moderat bewertet wurde.

Allianz mit netter Dividende

Abbildung: Allianz lockt mit hoher Dividende. Zum Kaufen und Halten ist der Blue Chip riskant. Timing ist bei solchen Aktien extrem wichtig.

KGV allein reicht nicht

Man sieht also, dass das KGV allein nicht besonders aussagekräftig für die Beurteilung eines Unternehmens ist. Ein tiefes KGV signalisiert keineswegs, dass eine Aktie preiswert ist, sondern vielmehr, dass ihr keine großen Wertsteigerungen zugetraut werden. Ob zu Recht oder zu Unrecht, das muss man als Anleger selbst entscheiden.

1 Kommentar
  1. KGV oder Price/Earnings soll nicht unbedingt viel bedeuten. Erstens ist nur eine von vielen Valuation Ratios, zweitens ist der steuerliche Gewinn für die Finanzamt gedacht. Für die Aktionäre macht mehr Sinn die „Owner Earnings“ zu berechnen, die leider so in der Bilanz nicht stehen.

    Generell fangen die Value Investor nicht bei der Bilanz oder bei der Gewinn-Verlust Rechnung an, sondern bei der Cash Flow Statement – da sieht man wirklich wie viel Geld reind und raus geht. Und das hat mit dem steuerlichen Gewinn sehr wenig zu tun.

    Weiterhin ist die fundamentale Analyse von Versicherugen (wie Allianz) und Banken noch mal anders wie für Softwarefirmen (wie SAP).

    Weiterhin hat SAP einen Riesen Wettbewerbsvorteil (Economic Moat), der auch berücksichtigt werden muss.

    Value Investing macht schon Sinn ist es aber nicht so einfach wir einfach wie die KGV vergleichen – das ist nur der Anfang.