Wir brauchen einen Neuen Markt 2.0

Wer finanziert noch Startups in Deutschland?

Beim Thema Neuer Markt 2.0 denken viele Anleger mit Schrecken an den Zusammenbruch des ersten Neuen Marktes in Deutschland zurück. Darüber sprach ich mit Christoph Gerlinger, CEO des Venture Capital-Anbieters German Startups Group.

Herr Gerlinger, die Bereitschaft Venture Capital zur Verfügung zu stellen ist nach dem Ende des Neuen Marktes rapide gefallen. Wer finanziert noch Startups in Deutschland?

Es gibt da schon eine Szene von Angels, Seed VCs usw., aber gemessen an der Größe der Volkswirtschaft gibt es in Deutschland nachweislich viel zu wenig Venture Capital auf der einen Seite und nur schlechten Zugang zu dieser Asset Klasse für interessierte Privatanleger auf der anderen Seite. Mit anderen Worten, beide Seiten finden derzeit nicht zusammen. Dieses Problem wollen wir mit unserer German Startups Group zu lösen helfen.

Wie sehen Sie die Rolle der Banken; sind diese bereit Wagniskapital zur Verfügung zu stellen? Wenn nein, worin sehen Sie die Gründe dafür?

Nein, das Chance-/Risikoprofil von Venture Capital, also haftendem Eigenkapital für junge, innovative Unternehmen ist für das Instrument des Bankdarlehens völlig ungeeignet. Solche Risiken kann nur eingehen, wer auch die Chance hat, damit mehrere Hundert oder gar Tausend Prozent Return zu erwirtschaften. Für eine auf 8 oder auch 12% Zins beschränkte Upside ist das viel zu riskant. Außerdem passt das nicht zu den Regulierungsregeln, denen Banken unterworfen sind. Es ist ihnen daraus kein Vorwurf zu machen.

Könnten große Kapitalgesellschaften, wie z.B. Versicherungen die Finanzierungslücke, die die Banken hinterlassen, schließen?

Ja alle Kapitalsammelstellen, also Fonds, Lebensversicherungen usw. sollten im Rahmen einer diversifizierten Anlagestrategie im eigenen Interesse eines effizienten, renditestarken Portfolios auch in alternative Investments investieren, darunter auch in Venture Capital. Das Problem ist, dass sich deutsche Versicherungen ja nur in äußerst geringem Umfang trauen, selbst in die Aktien großer DAX-Werte zu investieren. Daran sind aber wohl nicht die Versicherungen schuld, sondern die Versicherten. Viele deutsche Anleger investieren im Moment lieber in hochriskante Mittelstandsanleihen, die ihnen im besten Fall den Zins von meist unter 10% bringen, als in die Aktien des gleichen Unternehmens, die um mehrere Hundert Prozent steigen können. Aus Angst vor der Unsicherheit der Zukunft greifen sie nach jedem Strohhalm, sogar wenn es nur die Scheinsicherheit einer beliebigen Zinsprozentzahl ist.

Wie erklären Sie sich die große Lücke zwischen dem investierten Venture Capital in den USA mit ca.21 Mrd. Euro in 2012 und auf der anderen Seite ca. 3 Mrd. Euro in Europa?

Ganz einfach – die Amerikaner verstehen, dass zusätzliches Risiko zusätzliche Rendite bringt. Hierzulande verzichtet man lieber darauf, wenn man das Risiko vermeiden kann. Es wird nicht verstanden, dass selbst Anleihen der öffentlichen Hand und sogar Kontoguthaben bei Banken erhebliche Risiken verkörpern und keineswegs sicher sind. Am Finanzmarkt gibt es absolute Sicherheit ebensowenig wie im Leben allgemein.

Aus Ihrer Erfahrung: Wie groß ist der Kapitalbedarf für ein durchschnittliches Startup und steht dieser Bedarf nicht im Gegensatz zu den hohen Regulatorien der Börsen. Lohnt sich ein Börsengang also für Startups überhaupt?

Natürlich lohnt ein Börsengang nur, wenn das Unternehmen einen größeren Kapitalbedarf hat und an der Börse aufgrund seines Produkts, Geschäftsmodells, Teams oder seiner Erfolge auch eine Bewertung erwarten kann, die die daraus resultierenden Kosten um ein Vielfaches übersteigt. Im Segment „Entry Standard“ bspw. sind die Regularien gar nicht so hoch. Allerdings ist es nicht auf Technologieunternehmen fokussiert, sondern ein riesiger Gemischtwarenladen. Deshalb plädiere ich sehr für die Schaffung eines neuen Hochtechnologie-Börsensegments (siehe unsere Facebook-Fansite: „Wir brauchen eine neue deutsche Hochtechnologiebörse“ . Ein Börsengang hat neben der Finanzierungsfunktion auch andere Vorteile – Bekanntheit, ständiger Kapitalzugang, Mitarbeiterincentivierung durch Optionen, Atomisierung des Anteilsbesitzes also Unabhängigkeit des Vorstands, Verfügen über eine eigene Akquisitionswährung in Form eigener Aktien, um nur ein paar zu nennen. Ich habe selbst zwei von mir geführte Unternehmen an die Börse gebracht und es nicht bereut – es hat Wert, Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen.

Man stellt jedoch schnell fest, dass mit beispielsweise Google, Amazon, facebook oder demnächst twitter die meisten Börsengänge für Internetunternehmen in den Vereinigten Staaten realisiert werden. Sehen Sie eine realistische Chance diese Lücke in naher Zukunft zu schließen?

Ja, es gibt tolle und sehr erfolgreiche Neugründungen in Deutschland, nur gelangen sie nicht so leicht an die Börse, weil es auch wenig attraktiv für sie ist, da ein geeignetes Börsensegment für Technologieunternehmen mit passenden Anlegern fehlt.