Bis zum letzten Tropfen

Interview mit dem Autor Heiko Aschoff

Die Auswirkungen der globalen Klimaveränderung verschlechtern auch die Qualität des Rohstoffes Wasser. Schon in naher Zukunft wird dieser überlebenswichtige Rohstoff daher in einigen Ländern der Erde knapp werden. Wird dieser Markt die Investmentchance des Jahrhunderts?

Wasser ist das Elixier des Lebens, oder überspitzt formuliert – ohne Wasser läuft nichts. Sauberes Wasser ist Voraussetzung für das Funktionieren der Ökosysteme und für die Gesundheit des Menschen. Es ist unersetzbar für die Nahrungsmittelerzeugung und als Energiequelle. Die meisten Menschen leben an Orten, an denen Wasser knapp ist. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass im Jahr 2025 zwei Drittel der Menschheit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben werden.

Mit zunehmender Industrialisierung, wachsender Weltbevölkerung und verbessertem Zugang in noch unterversorgten Regionen steigt der Süßwasserkonsum weltweit stark an. Während heute bereits durchschnittlich 5000 Kubikkilometer jährlich konsumiert werden, dürfte der Bedarf in den nächsten Jahrzehnten um 40 bis 60% zunehmen. Bereits in einem halben Jahrhundert könnten wir an die absolute Grenze der Verfügbarkeit stoßen.

Der Investitionsbedarf für die Erhaltung, Wartung und Modernisierung der Wassernetze ist enorm. Nach Schätzungen der Weltbank sind Investitionen in Höhe von rund sechs Milliarden US-Dollar allein in den kommenden 10 Jahren erforderlich, um die Wassernot zu lindern. Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Allein die immer strengeren Qualitätsvorschriften erfordern in den nächsten Jahren in Europa dreistellige Milliardeninvestitionen. In Amerika dürften sich die Investitionskosten in den nächsten Jahrzehnten eher auf Billionen US-Dollar belaufen. Eine Folge der aufgeschobenen Modernisierung des Leitungsnetzes. Und wie sieht es mit dem Rest der Welt aus?

Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, dass Investoren bereits von der Investmentchance des Jahrhunderts sprechen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Wassers hat sich seit einigen Jahren eine rege Geschäftstätigkeit entwickelt. Von der Erweiterung der Süßwasserressourcen über die Reinigung, Entsalzung und Bevorratung bis hin zur Einsparung und Versorgung. Die steigende Nachfrage, der höhere Qualitätsanspruch der Verbraucher sowie der enorme Investitionsbedarf in die Wasserinfrastruktur tragen dazu bei, den in der Wertschöpfungskette Wasser tätigen Firmen gute Wachstumspotenziale zu bieten.

„Wasser ist ein Menschenrecht“ sagen die Einen, „Wasser ist ein ökonomisches Gut und hat seinen Preis“ sagen die Anderen. Wie müssen die Menschen den Rohstoff klassifizieren, um einen nachhaltigen und Ressourcenschonenden Umgang mit Wasser gewährleisten zu können?

Investitionen im Wassersektor berühren immer auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Belange von großer Tragweite. Die wirkliche Tragödie zeigt sich vor allem im täglichen Überlebenskampf des armen Teils der Weltbevölkerung, der zusätzlich noch die Bürde wasserbedingter Krankheiten tragen muss. Auch die Natur leidet unter den auf ihr abgeladenen Abfallbergen und der maßlosen Ausbeutung. Die Verantwortlichen scheinen sich nur wenig um die späteren Konsequenzen für die zukünftigen Generationen zu kümmern.

Die Wasserkrise ist in erster Linie eine Krise des Wassermanagements. Wir verfügen über das Know-how, um dagegen anzugehen. Trotzdem unterlassen wir es, schnellstmöglich Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Es wäre zu einfach gedacht, die wesentlichen Ursachen im finanziellen Bereich zu suchen. Ein großes Problem ist die Trägheit auf den Führungsebenen und die Erkenntnis, dass sich die Weltbevölkerung über das Ausmaß des Problems nicht ausreichend bewusst ist.

Befürworter einer freien Marktwirtschaft argumentieren, dass weltweit tätige Konzerne prädestiniert sind, neben ihrem üblichen Dienstleistungsangebot auch geeignete Wasserdienstleistungen anzubieten. Insbesondere auf die Großkonzerne fokussiert sich die Wut der Privatisierungsgegner. Hierbei wird schnell vergessen, dass nicht die Privatfirmen schuld an der Wasserkrise sind. Natürlich ist die Art und Weise des Wirtschaftens kritisch zu hinterfragen. Wenn die Preise nach einer Privatisierung steigen, kann das mit den bisher nicht gedeckten Wasserkosten und dem Investitionsstau zusammenhängen.

Die Herausforderung besteht darin, Anreizsysteme zu schaffen, möglichst wenig Wasser zu verbrauchen. Da Wasser in Abhängigkeit von der verbrauchten Menge bepreist wird, hat kaum einer der Marktteilnehmer Interesse daran, seine Existenzgrundlage zu minimieren. Geringere Verbrauchsmengen bedeuten weniger Umsatz für die Versorger, die bestehenden Kapazitäten werden weniger beansprucht und rechnen sich kaum noch, die Ingenieurbüros verlieren Aufträge oder die Kanalisationsbetreiber sitzen auf dem Trockenen und zerbrechen sich den Kopf, wie sie die Fäkalien durch das Rohrleitungsnetz zur Kläranlage bekommen.

Nicht Rendite um jeden Preis, sondern am Nachhaltigkeitsprinzip orientierte ganzheitliche Verantwortung für den effizienten Umgang mit der kostbaren Ressource Wasser muss im Vordergrund stehen. Jeder Mensch, jedes Lebewesen sollte seinen existentiellen Bedarf an Wasser befriedigen können. Keine leichte Aufgabe in der heutigen Zeit. Wir stehen vermutlich vor einer der größten Herausforderungen der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten.

Ist es sinnvoll die Wasserversorgung zu privatisieren, um mehr privates Kapital zu mobilisieren, das die enormen finanziellen Herausforderungen bewältigen kann?

Angesichts der ungeheuren Dimension ist es ist fraglich, ob der finanzielle Kraftakt ohne die Unterstützung und das Know-how der Privatwirtschaft gemeistert werden kann. Privatisierungsgegner geben zu bedenken, dass privatwirtschaftliche Unternehmen die Gewinne maximieren, aber gleichzeitig notwendige Investitionen in das Leitungsnetz unterlassen und sich auf die rentablen Versorgungsregionen konzentrieren. Kapital und Vermögenswerte könnten ins Ausland übertragen werden. Länder mit dem größten Bedarf nach Wasserdienstleistungen sind oftmals gerade diejenigen mit ungenügenden öffentlichen Kontrollmechanismen, um getroffene Vereinbarungen zu überwachen und wirksame Sanktionen bei Fehlverhalten einzuleiten.

Während bei privatwirtschaftlichen Unternehmen immer die Gefahr einer rücksichtslosen Profitmaximierung besteht, fehlen bei öffentlichen Versorgern aufgrund der Budgetierung Anreize zu einer effizienten Ressourcennutzung. Die Privatisierung fördert den Wettbewerb und wirkt sich positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Versorger aus.

Privat oder staatlich – beide Organisationsformen haben ihre Vor- und Nachteile. Damit es nicht zu systembedingten Fehlentwicklungen kommt, müssen (staatliche) Anreiz- und Sanktionssysteme den Rahmen vorgeben. Schon allein aufgrund der Besonderheit als tägliches Lebensmittel, das bei geringster Verunreinigung Erkrankungen auslösen kann, sind strenge Kontroll- und Qualitätsmaßstäbe erforderlich.

Nationale Gesetze können ausgehebelt werden. Deshalb müssen nationale Bestimmungen in ein internationales Regelwerk eingebunden werden, das die unersetzliche Ressource Wasser in den Mittelpunkt stellt und eine einseitige Ausnutzung unter dem Deckmantel des Welthandelsabkommens verhindert.

Wasser umfasst nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale, religiöse und ökologische Aspekte. Wie lassen sich diese nicht wirtschaftlichen Aspekte in Werteinheiten fassen?

Den Wert des Wassers zu erkennen und in eine Größe zu fassen, ist höchst komplex und abhängig von der Sichtweise. Ein altes chinesisches Sprichwort besagt, wer das Wasser kontrolliert, beherrscht China. Das Magazin Fortune schreibt zur Jahrtausendwende, dass Wasser im 21. Jahrhundert die Bedeutung erlange, die das Öl im 20. Jahrhundert hatte – der unentbehrliche Rohstoff, der den Wohlstand ganzer Nationen bestimmte. Veränderungen in der Wasserverteilung führen regelmäßig zu Konflikten innerhalb eines Landes, die zu einer Auseinandersetzung zwischen Länderregierungen anwachsen können. Kriege um Rohstoffe gab es schon immer in der Geschichte der Menschheit.

Einige Banken und Investmenthäuser haben interessante Kriterienkataloge für den Wassersektor entwickelt, die soziale und Umweltaspekte bei der Bewertung berücksichtigen. Etwa die Auswahl von Zulieferern, die umweltfreundlich arbeiten, oder die Anwendung schonender Verfahren zur Wasseraufbereitung. Hinzu kommen Sozialkriterien, differenziert nach Adressaten (Öffentlichkeit, Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden). Es sind viele Ausprägungen denkbar, aber man muss realistisch bleiben. Trotz angestrebter Objektivität bleibt immer ein gehöriger Schuss Subjektivität.

Bei nachhaltigen Kapitalanlagen wird nicht nur nach finanziellen Kriterien angelegt, sondern es werden auch Umwelt- und Sozialkriterien berücksichtigt. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie Kritiker, die befürchten, dass nachhaltige Kapitalanlagen der Rendite schaden könnten?

Nachhaltige Kapitalanlagen haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Dabei wird nicht ausschließlich nach finanziellen Kriterien angelegt, sondern auch Umwelt- und Sozialkriterien berücksichtigt. Die Anleger können so einen kleinen Beitrag zur Verbesserung unserer Lebensgrundlagen beitragen. Ob sich das auch im eigenen Geldbeutel bemerkbar macht, ist unklar.

Es wird immer wieder die Befürchtung geäußert, dass nachhaltige Kriterien der Rendite schaden. Mit dem zunehmenden Bewusstsein der Bevölkerung für ökologische Zusammenhänge, sollten nachhaltig wirtschaftende Unternehmen langfristig davon profitieren können – zumindest aber keine Benachteiligungen erleiden. Unstrittig dagegen ist, dass ohne Rücksicht auf Mensch und Natur wirtschaftende Unternehmen keine Pluspunkte bei verantwortungsvoll handelnden Investoren sammeln. Hinzu kommen monetäre Sanktionen aufgrund Schadstoffbelastungen, gesundheitlicher Gefährdungen, einem schlechten Betriebsklima oder mangelnde Akzeptanz der so hergestellten Produkte. Kapitalkräftige institutioneller Anleger, die ihren Gremien und letztendlich gegenüber der Gemeinschaft zur Rechenschaft verpflichtet sind, verfolgen die Entwicklung genau.

Selbst ohne besonderen Renditevorteil halte ich den Gedanken für reizvoll, positive Entwicklungen zu begleiten, die der Lebensqualität dienlich sind und den Raubbau an unserer Umwelt reduzieren hilft.

Die Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette des Wassers eröffnet weitere Investmentchancen. Welche Bereiche zählen hier vorrangig dazu?

Die traditionelle Sichtweise stellt Wasser in den Mittelpunkt. Jederzeitige Verfügbarkeit in ausgezeichneter Qualität lautet die Devise. Die Märkte der Zukunft werden geprägt sein von einer nachhaltigen Sichtweise. Das Wasser steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Sicherstellung der entsprechenden Dienstleistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu gehören wassersparende Technologien genauso wie die Bereitstellung einer kosteneffizienten Infrastruktur. Am stärksten profitieren Unternehmen aus den Bereichen Wasserreinigung, Ressourceneffizienz, Management und Ernährung.

Auch fernab der klassischen Bereiche finden sich Investmentchancen: Technologien, die nicht ausschließlich mit dem Kernprodukt Wasser zu tun haben, gewinnen an Bedeutung. Hierzu gehören UV Lampen, Kühlelemente, Membranmaterialien oder Hausarmaturen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ein bedeutender Teil des Umsatzes muss durch Produkte im Wassersektor resultieren. Gerade bei großen Konzernen, die in vielen Bereichen aktiv sind, ist das nicht oder nur ungenügend der Fall. Solche Unternehmen profitieren nicht genügend von dem Wassertrend.

Meiden Sie Firmen, die Wasserprobleme zulasten anderer Bereiche lösen. Schädliche Nebenwirkungen müssen vermieden werden. Das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung toleriert solche Entgleisungen nicht mehr.

Wohin tendieren die globalen Wassertrends der nächsten Jahre? Können Sie unseren Lesern hierzu einige Tipps geben?

Gerne. Um Investmentchancen im Wassersektor aufzuspüren, müssen wir uns zunächst über die treibenden Kräfte im Hintergrund klar werden und welche Unternehmen letztendlich davon profitieren. Nach Einschätzung des auf nachhaltige Anlagen spezialisierten Investmenthauses SAM prägen insbesondere vier globale Trends die Entwicklung des Wassermarktes:

  • Demographische Veränderung
  • Überalterte Infrastruktur
  • Zunehmendes Gesundheitsbewusstsein
  • Liberalisierung der Wasserversorgung und -entsorgung

Das Bevölkerungswachstum und die zunehmende Verstädterung verstärken die Nachfrage nach Trinkwasser, nach sanitären Einrichtungen und einem leistungsfähigen Wasserversorgungs- und Entsorgungssystem.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich unternehmerische Herausforderungen im Hinblick

  • auf die Bereitstellung ausreichender Wassermengen, um bestimmte Dienstleistungen überhaupt erbringen zu können,
  • hinsichtlich der Wasserqualität und
  • einer geeigneten Infrastruktur für den Wassertransport.

(Das Interview wurde im August 2007 veröffentlicht)