Sehr geehrte Damen und Herren, an den Märkten ist vom Sommerloch nichts zu spüren. Statt schläfriger Eintönigkeit ziehen Aktien munter durch. Mal ist es der Automobilsektor, dann sind die Immobilienaktien wieder dran. Das Kapital hüpft von Branche zu Branche. Immer auf der Suche nach zurückgebliebenen Titeln. (Hinweis: der Beitrag wurde am 7. August 2009 auf Value Stocks veröffentlicht).
Kaum zu glauben, dass vor einem Monat eine Schulter-Kopf-Schulter Formation wie ein böser Geist durch die Medien schwebte und die Märkte bedrohte. Daraus wurde nichts. Es kam zu einem klassischen Fehlausbruch. Wie dynamisch Fehlausbrüche verlaufen können, sehen wir seit drei Wochen.
Leider gehe ich Fehlausbrüchen gelegentlich auf den Leim, aber das ist ja deren ureigenster Sinn – möglichst viele Anleger in die falsche Richtung zu locken, und dann aus dem Stand heraus in die andere Richtung zu preschen. Kompliment, Mr. Market!
Das zeigt, wie flexibel wir Anleger sein müssen: Widerlegt der Markt die eigene Meinung, sollte man sich schnellstens anpassen oder man zahlt kräftig Lehrgeld. Wer beherzt handelt, kann so aus einer misslichen Situation Kapital schlagen. Diesmal hat es den ganzen Markt erwischt und nicht nur einzelne Titel. Da Fehlausbrüche immer wieder passieren und sich daraus ausgezeichnete Chancen ergeben, möchte ich einen Auszug aus meinen Investment Ideen vom 20.07.2009 zitieren – denn der nächste Fehlausbruch kommt bestimmt:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
letzte Woche tauchte in zahlreichen Börsenpublikationen eine Schulter-Kopf-Schulter Formation (SKS) auf, die nichts Gutes für DAX & Co. verhieß. Die SKS ist ein Begriff aus der Welt der Technischen Analyse. In diesem Fall handelte es sich um eine obere Trendumkehrformation, die bei Unterschreiten der Kurse durch ein kritisches Niveau, bezeichnet als Nackenlinie, weiter fallende Kurse signalisiert.
Bildlich gesprochen besteht das Kursmuster aus einem Kopf und zwei Schultern. Die Niveaus der beiden Schultern sollten in etwa gleich hoch sein und der Kopf in der Mitte die beiden Schultern deutlich überragen. Die Nackenlinie bildet die Linie durch beide Tiefpunkte zwischen den Schultern und dem Kopf.
Abbildung oben: So stellte sich die Situation Anfang Juli im DAX dar. Es fehlten nur noch wenige Punkte bis zum Durchbruch der Nackenlinie. Bei einem Fall unter die Nackenlinie ergäbe sich aus technischer Sicht ein theoretisches Kursziel in den Bereich von etwa 4.200 Indexpunkten. Im unteren Teil der Grafik sind die Börsenumsätze eingeblendet.
Bereits wenige Tage später wurde die Nackenlinie nach unten durchbrochen. Damit war die SKS vollendet und der „freie Fall“ durfte aus Sicht der Technischen Analysten starten. Beachten Sie die relativ niedrigen Umsätze beim Durchbruch. Das ist untypisch für eine SKS. Hier sollten wir drastisch steigendes Handelsvolumen sehen. Das war nicht der Fall.
Wie ging es weiter?
Die Umsätze blieben niedrig und der DAX pendelte beharrlich um die 4.600er Marke. Die SKS verweigerte sich dem technischen Idealbild. Der DAX wollte einfach nicht weiter fallen. Stattdessen brachen zur Überraschung der SKS-Anhänger die Kurse kraftvoll nach oben aus:
Die SKS hatte sich als klassisches Fehlsignal herausgestellt. Fehlsignale gehören in der Technischen Analyse mit zu den stärksten Signalen. Was war passiert? Unabhängig davon, ob Sie die Technische Analyse als Hokuspokus oder Wissenschaft sehen (ich würde es eher als Kunst bezeichnen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit ein wenig zu seinen Gunsten zu verschieben), hatten sich offenbar zu viele Marktteilnehmer in der Erwartung fallender Kurse positioniert (denken Sie daran, es gab kaum eine Börsenzeitschrift oder Nachrichtensendung, die nicht diese SKS zum Thema hatte).
Wenn sich alle einig sind, macht der Markt gerne das Gegenteil (es kommt zum Fehlausbruch). Als der DAX unter die Nackenlinie fiel, hatten die meisten Marktteilnehmer ihre Positionen bereits verkauft oder spekulierten auf fallende Kurse (shortselling). Die erwartete Verkaufswelle blieb aus, die Kurse stabilisierten sich und explodierten nach oben. Die Dynamik der Aufwärtsbewegung zeigt, dass sich sehr viele Leerverkäufer eindecken mussten. Der Fehlausbruch dürfte einer beachtlichen Anzahl von kurzfristig handelnden Anlegern und Tradern richtig Geld gekostet haben. Investoren betrachteten das Schauspiel gelassen von der Seitenauslinie und achten darauf, ob nach dem „Ausquetschen der Leerverkäufer“ (shortsqueeze) langfristig orientierte Anleger in den Markt kommen. Die letzten Wochen waren ein Lehrbeispiel dafür, dass das Offensichtliche nicht immer das ist, was es zu sein scheint.
Ich kann an dieser Stelle nur wiederholt warnen, dass bei all der „Prognosesucht“ in den Medien jede Aussage über die Zukunft nur eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung ist. Mehr nicht. Keiner kennt die Zukunft. Deshalb muss die eigene Einschätzung permanent überprüft werden. Befindet sie sich im Einklang mit der Entwicklung des Marktes? Anders als in den 80er Jahren bis weit in die 90er hinein wird uns Anlegern heute ein extrem hohes Maß an Flexibilität abverlangt.“
[Zitat Ende]Klingt das nicht einfach? Ex post ist alles so leicht, aber wer sich ex ante in der Situation befindet, dürfte anderer Meinung sein. Die 5.000er Marke hat der Markt längst genommen. Wo liegt die nächste Hürde?